Landkreistagspräsident Walter: „Landkreise drohen in Überforderungssituation hineinzurutschen, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird“
Fellbach. „Die Überforderungssituation, in die die untere, kommunale Verwaltungsebene immer mehr verstrickt wird, droht unsere Staatlichkeit an der Wurzel zu beschädigen. Mehr denn je brauchen die Landkreise, Städte und Gemeinden genügend Gestaltungsfreiheit und dafür umso weniger Regulierung.“
Diesen dringenden Appell richtete der Präsident des Landkreistags, Landrat Joachim Walter (Tübingen), heute in Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie Innenminister Thomas Strobl an die rund 300 Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung und Verbänden, die zu der alle zwei Jahre stattfindenden Landkreisversammlung in die Schwabenlandhalle nach Fellbach gekommen waren.
In seiner Grundsatzrede betonte Landkreistagspräsident Walter, dass die Landratsämter aufgrund kluger Reformen in der Vergangenheit an sich stark aufgestellt seien und sich gerade auch in den Krisenzeiten der letzten Jahre als ebenso verlässliche wie belastbare Partner des Land erwiesen hätten. Inzwischen drohe jedoch eine Überlastung der unteren Verwaltungsebene. Dies gelte aktuell im Hinblick auf die Geflüchtetenaufnahme. Mehr noch aber seien strukturelle Fehlentwicklungen dafür ursächlich, insbesondere die Überregulierung sowie der ständige Rückgriff auf die Landkreise als Ausfallbürgen, wenn etwa beim Impfen, bei der Krankhausfinanzierung und bei der Inklusion die Regelsysteme versagen. Dabei wollten die Landkreise keinesfalls nur Krisenmanager sein. „Wir verstehen uns als Zukunftsmacher. Kommunaler Klimaschutz und kommunale Verkehrswende, Breitbandengagement und end-to-end-Verwaltungsdigitalisierung, präventive Sozialpolitik und sektorenübergreifende Gesundheitsverordnung – all dies haben wir auf der Agenda“, betonte Landkreistagspräsident Walter.
Zu Beginn seiner Rede appellierte Landkreistagspräsident Walter an Ministerpräsident Kretschmann, alles zu unternehmen, um die Landkreise bei der aus humanitären Gründen gebotenen Geflüchtetenaufnahme zu unterstützen. Walter erneuerte die Kritik der Landkreise am Rechtskreiswechsel der Ukraine-Geflüchteten aus dem Asylbewerberleistungsgesetz ins SGB II und sprach sich insbesondere gegen eine Ausweitung des Rechtskreiswechsels auf andere Gruppen von Schutzsuchenden aus: „Durch den Rechtskreiswechsel und die damit verbundenen höheren Sozialleistungen wird bei den flüchtenden Menschen der Anreiz gesetzt, statt in anderen EU-Ländern gerade in Deutschland Schutz zu suchen. Dadurch wiederum rückt eine europaweit faire Verteilung der Schutzsuchenden in immer weitere Ferne.“ Ferner erhob Landkreistagspräsident Walter die Forderung, dass das Land die Nettomehrbelastungen der Kreise umfassend ausgleichen müsse, die mit Sozialleistungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge zusammenhängen: „Andernfalls provoziert man in den Kreistagen und Gemeinderäten Debatten über die Flüchtlingskostenfinanzierung, also unheilvolle Diskussionen darüber, weshalb ein bestimmtes Bauprojekt, eine bestimmte soziale Maßnahme, eine bestimmte Vereinsförderung gerade wegen der finanziellen Belastung durch die Geflüchtetenaufnahme eingestellt werden muss.“
Im Weiteren ging Walter auf die drohende Überforderung der kommunalen Ebene ein, die sich aus ständig neuen Aufgaben, Rechtsansprüchen und Standards ergeben, die von übergeordneten Staatsebenen beschlossen werden, und zwar ohne die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitzustellen und ohne Rücksicht auf den leergefegten Arbeitsmarkt. Als Beispiele nannte er den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung an Grundschulen sowie die faktische Ausfallbürgschaft der Landkreise bei der hochdefizitären Krankenhausfinanzierung und bei der unzureichenden schulischen Inklusion von Schülerinnen und Schüler mit Handicaps.
Vor diesem Hintergrund forderte Walter eine ehrliche Debatte und schnelle Entscheidungen über politischen Prioritäten und Posterioritäten: „Nicht alles, was wünschenswert ist, kann auch geleistet werden. Mehr noch: Manches von dem, was wir vor der Zeitenwende noch als zwingend erforderlich und unverzichtbar angesehen haben, lässt sich heute schlichtweg nicht mehr realisieren und umsetzen.“ Des Weiteren betonte er, dass vom Land auf die Kommunen übertragene Aufgaben auch auskömmlich finanziert sein müssen. Um dies zu gewährleisten forderte Walter eine Nachschärfung des Konnexitätsprinzips in der Landesverfassung. Weiterhin seien Standardabbau, Verfahrensvereinfachung und Entbürokratisierung dringlicher denn je. „Ohne Reduzierung von Komplexität werden die kommunalen Verwaltungen nicht mehr aus der Überforderungsfalle herauskommen.“
Rede von Herrn Präsident Walter