Landkreise vor der schier unlösbaren Aufgabe Monat für Monat einer steigenden Zahl Asylsuchender ein Dach über dem Kopf zu geben- Kosten der Gesundheitsversorgung und für die Unterbringung von den Landespauschalen nicht gedeckt! Landkreise wollen Aufwand direkt in Landeshaushalt verbuchen.
Kehl. Der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter (Landkreis Tübingen), hat heute in seiner Rede anlässlich der 37. Landkreisversammlung in Kehl- vor 350 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung - aus Sicht der Landkreise Stellung bezogen zu den aktuellen kommunalpolitischen Themen der Landes- und Kommunalpolitik.
Flüchtlinge und Asylbewerber
Einen Schwerpunkt seiner Rede legte Walter auf das Thema der Flüchtlinge und Asylbewerber und die Probleme mit deren Unterbringung und Gesundheitsversorgung. Erst jüngst sei die Prognose der Flüchtlingszahlen von der Landesregierung von 23.000 Menschen, die in 2014 nach Baden-Württemberg kommen, auf 26.000 erhöht worden.
„Wir Landkreise stehen vor der schier unlösbaren Aufgabe Monat für Monat einer steigenden Zahl Asylsuchender im Wege der vorläufigen Unterbringung ein Dach über dem Kopf zu geben. Der Wohnungsmarkt gibt kaum noch etwas her, also bauen wir selbst“, hob Walter hervor. Er betonte, dass der Landkreistag schon vor mehr als einem Jahr auf die Schwierigkeiten bei der räumlichen Unterbringung in vielen Landkreisen hingewiesen habe und deutlich gemachte habe, dass die den Landkreisen vom Land gewährten Pauschalen nicht ausreichen. „Pauschalen sind der falsche Weg! Wohnkosten und Miethöhen sind von Kreis zu Kreis völlig unterschiedlich: Ballungsraum, Universitätsstädte und ländlicher Raum lassen sich einfach nicht mit einer Pauschale erfassen. Dasselbe gilt für die Gesundheitskosten. Führen Sie die Echtkostenabrechnung ein und lassen Sie uns wie vor 2004 auch die Kosten für Unterbringung und Krankenversorgung direkt über die Landesoberkassen abrechnen!“, forderte der Landkreistagspräsident. Walter stellte auch klar, dass die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge und Asylsuchenden eine staatliche Aufgabe und keine kommunale Aufgabe ist, die den Stadt- und Landkreisen zur Ausführung übertragen wurde. Deshalb appellierte er an die Landesregierung und an den Landtag, alles dafür zu tun, dass die Stadt- und Landkreise in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe - sachgerecht im Interesse der asylsuchenden Menschen und mit genügender Finanzausstattung durch das Land - lösen zu können.
Regionale Schulentwicklungsplanung
Walter führte dazu unter anderem aus, dass durch die Einrichtung von Sekundarstufen II an Gemeinschaftsschulen nach wie vor die Gefahr einer Konkurrenzsituation insbesondere zu den bestehenden beruflichen Gymnasien bestünde. Er betonte, dass aktuell die Gymnasien der Beruflichen Schulen ausgebaut wurden, es also gesamtwirtschaftlich gesehen nicht sinnvoll sei, hier parallele Strukturen aufzubauen: „Gerade aber in Zeiten zurückgehender Schülerzahlen können wir es uns nicht leisten, kostenintensive Doppelstrukturen zu schaffen!“. „Die an Beruflichen Schulen erreichbaren allgemeinbildenden Abschlüsse sind mit denen der allgemeinbildenden Schulen gleichzusetzen. Vor diesem Hintergrund halten wir entsprechende Kooperationen zwischen Gemeinschaftsschulen und Beruflichen Schulen für sinnvoll“, so Walter. Er erhob die klare Forderung, dass der Aufbau einer Oberstufe an einer Gemeinschaftsschule nur dann zugelassen werden darf, wenn der allgemein bildende Abschluss an einem beruflichen Gymnasium nicht in zumutbarer Erreichbarkeit vorgehalten wird. Insgesamt hielt er fest, dass der jetzt auf den Weg gebrachte Schulentwicklungsprozess grundsätzlich zu begrüßen ist. Sinnvoll und notwendig wäre es allerdings gewesen, das Verfahren der regionalen Schulentwicklung bereits verbindlich bei der Prüfung der Gemeinschaftsschulstandorte anzuwenden. Stattdessen seien an vielen Orten mit der Einrichtung von Gemeinschaftsschulen Fakten geschaffen worden, ohne dass die langfristige Prognose der vorgesehenen Schülerzahlen eingetreten ist. „Es bleibt zu hoffen, dass die Gemeinschaftsschule bei ausbleibenden Schülerzahlen wie alle anderen Schularten auch behandelt wird und hier kein „Prä“ genießt. Der Landkreistag wird im Hinblick auf die geschilderte Konkurrenzsituation zu den Beruflichen Schulen darauf ein besonderes Augenmerk haben“, betonte Walter.
Zukunft des beruflichen Schulwesens
Der Landkreistagspräsident stellte fest, dass das berufliche Schulwesen in Baden-Württemberg bundesweit eine Spitzenstellung einnimmt: „Unsere beruflichen Schulen bilden den Fachkräftenachwuchs von morgen aus. Von diesen gut ausgebildeten Fachkräften – nicht nur von Akademikern – hängt der künftige Wohlstand unseres Landes maßgeblich ab!“ Die Sicherung des Fachkräftenachwuchses stelle gerade auch im Hinblick auf den demographischen Wandel eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre dar. „Deshalb gilt es die beruflichen Schulen zu stärken und sie keinesfalls zugunsten anderer Schularten zu schwächen!“, forderte Walter.
Inklusion
Walter machte deutlich, dass die Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, zu einem Topthema auch in den Landkreisen geworden ist. Einer der Schwerpunkte auch der Bildungspolitik sei die schulische Inklusion, also die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in die allgemein bildenden Schulen. Walter sagte, dass er hoffe, dass am Datum des Inkraftsetzens der geplanten Schulgesetzänderung zum Schuljahr 2015/2016 jetzt nicht mehr gerüttelt werde: „So langsam geht nicht nur uns, sondern vor allem den Betroffenen vor Ort, insbesondere den Eltern, die die inklusive Schulbildung für ihre Kinder wünschen, die Geduld aus.“ Walter stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die kommunale Seite schon lange klare und verbindliche Festlegungen im Schulgesetz, welche die Verantwortlichkeiten des Landes und aller beteiligten Partner definieren, gleichzeitig aber auch ein klares Bekenntnis ablegen, dass den Kommunen ihre Kosten insbesondere als Schulträger, Träger der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe und der Schülerbeförderungskostenerstattung ersetzt werden. Er sei sehr froh, dass Herr Kultusminister Stoch und Herr Finanzminister Dr. Schmid die Angelegenheit nun in die eigenen Hände genommen haben. Die vom Landeskabinett am 29. Juli 2014 beschlossenen Eckpunkte seien ein erster Schritt. Wesentliche Punkte wären jedoch bisher ausgeklammert und müssten weiter zwischen den Kommunalen Landesverbänden und dem Land verhandelt werden. „Wir fordern ein klares Bekenntnis des Landes, die Schulen personell und finanziell so auszustat-ten, dass sie den Belangen von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung und ihren Eltern gerecht werden. Die Verantwortung für die schulische Inklusion darf nicht mehr länger zwischen den Beteiligten hin und her geschoben werden. Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit muss durch das Lehrpersonal wahrgenommen werden“, so Walter. Walter hob auch hervor, dass nach wie vor deutlich mehr als die Hälfte der Eltern erwarten, dass ihre Kinder eine Sonderschule besuchen und weiterhin den hervorragenden Rahmen vorfinden, der ihnen dort geboten wird: „Insbesondere mit dem System der in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzenten entstandenen Außenklassen wird dem Grundgedanken der Inklusion bereits jetzt weitgehend Rechnung getragen. Es muss daher auch landespolitisch ein klares Bekenntnis geben, dass Sonderschulen weiterhin gewollt und in ihrer Differenziertheit unverzichtbar sind!“
Kartellverfahren Holzvermarktung
Der Präsident des Landkreistags ging auch auf das laufende Kartellverfahren in Sachen Holzvermarktung ein. Das Bundeskartellamt bestehe nach wie vor auf strukturellen Änderungen der Forstverwaltung in Baden-Württemberg: „Die Trennung des Holzverkaufs aus dem Staatswald und den anderen Waldbesitzerarten gehört leider dazu.“ Walter sagte, dass Land und Kommunale Landesverbände gemeinsam versuchen, mit dem Bundeskartellamt Lösungen zu vereinbaren, die möglichst geringe Eingriffe in die bewährten Strukturen der Forstverwaltung und für das bisherige, umfassende Dienstleistungsangebot für die waldbesitzenden Gemeinden sowie die Privatwaldbesitzer bedeuten. „Wir versuchen nun in Verhandlungen mit dem Bundeskartellamt das bewährte Einheitsforstamt zumindest für die Betreuung des Kommunal- und Privatwalds, und dabei sprechen wir von immerhin 76 % der Waldfläche Baden-Württembergs, weitgehend aufrecht zu erhalten“, machte Walter deutlich. Er sei Herrn Minister Bonde sehr dankbar, dass er dem Landkreistag seine Unterstützung dieser Anliegen im weiteren Verfahren bereits zugesagt hat. Sowohl der Minister als auch der Landkreistag sehen nun doch gewisse Chancen, wenigstens dieses Teilziel noch zu erreichen. Auch hoffe man auf eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Bundeswaldgesetzes, die auch zu einer anderen Einschätzung des Bundeskartellamtes den Weg ebnen könnte. „Unser gemeinsames Ziel – und da darf ich abschließend zu diesem Thema nochmals alle Beteiligten ansprechen – muss weiter sein, die neu zu schaffenden Strukturen unserer Forstverwaltung an die waldbaulichen Belange und Funktionen unserer Wälder anzupassen, nicht umgekehrt.
Mit dem Einheitsforstamt sind wir und der Wald in Baden-Württemberg gut gefahren!“, sagte Walter unmissverständlich.
Krankenhaus und Gesundheitswesen
Walter ging auch auf die aktuelle Krankenhauskrise ein, die größte Sorge bereite: „Noch immer schreiben fast die Hälfte der Kliniken in Baden-Württemberg rote Zahlen. Bei einer solchen Größenordnung ist klar: Es sind eindeutig die Rahmenbedingungen, die derzeit nicht stimmen“. Im Vordergrund stehe dabei die Krankenhausfinanzierung, bei der massiv nachgebessert werden müsse. Dass dies inzwischen auch auf Bundesebene erkannt und anerkannt ist, freue ihn selbst-verständlich. Nun aber gehe es um die konkreten Reforminhalte. „Wir setzen darauf, dass das Land alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um zu verhindern, dass Krankenhäuser noch vor dem Inkrafttreten der Krankenhausstrukturreform in die Katastrophe schlittern. Daher muss der Versorgungszuschlag von 0,8 % unbedingt und unverkürzt ins Jahr 2015 prolongiert werden. Die von den Koalitionsfraktionen auf Bundesebene derzeit geplante Kürzung des Versorgungszuschlags würde die Krankenhäuser in Baden-Württemberg mindestens 40 Millionen Euro kosten. Hier tut sich ein echter Abgrund auf!“, machte Walter deutlich. Noch sehr viel unmittelbarer sei das Land bei den Investitionsmitteln gefordert. Zwar sei man durchaus dankbar dafür, dass die Landesregierung die Investitionsförderung deutlich nach oben korrigiert habe: „Wir anerkennen auch, dass der Investitionsstau seither abgenommen hat. Zu-gleich beobachten wir jedoch, dass nach einem fulminanten Auftakt im Nachtragshaushalt 2011 das Engagement des Landes immer stärker nachgelassen hat. Dies können wir nicht akzeptieren, zumal jede nicht getätigte Investition typischerweise zu höheren Betriebskosten führt und wir daher bei unzureichender Investitionsförderung in einen regelrechten Teufelskreis geraten.“ „Wir erwarten daher weiterhin eine schrittweise Erhöhung der investiven Mittel auf in 2016 mindestens 600 Mio. Euro“, forderte Walter.
Ländlicher Raum
Der Präsident des Landesverbands der 35 baden-württembergischen Landkreise sprach auch, die Demographische Entwicklung und die Auswirkungen auf den Ländlichen Raum an: „Der demografische Wandel ist eine große Herausforderung für Landkreise, Städte und Gemeinden“, stellte Walter fest. Von diesem Wandel sei auch und ganz besonders der Ländliche Raum betroffen. „Dort ist der demografische Wandel mancherorts schon heute sehr deutlich sichtbar, man denke nur an die Diskussionen zu Schulstandorten, an Probleme bei der hausärztlichen Versorgung und schwindende Einkaufsmöglichkeiten. Allerdings gibt es noch viele auch ländlich geprägte Landkreise mit stabiler wirtschaftlicher Entwicklung und guter Arbeitsplatzsituation“, betonte Walter. „Das bleibt aber nur so, wenn für unsere Unternehmen und deren Beschäftigte eine intakte Infrastruktur zur Verfügung steht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, droht die Entwicklung und Verfestigung einer Abwärtsspirale“, so Walter weiter. Gerade die Breitbandförderung im Land sei in diesem Zusammenhang von immenser Bedeutung. Viele Landkreise hätten in jüngster Zeit Initiativen gemeinsam mit den Gemeinden ins Leben gerufen, um – teilweise auch kreisübergreifende – Konzepte zum Breitbandausbau auf die Füße zu stellen. „Das Ministerium Ländlicher Raum tut sehr viel, um im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen, die Kommunen bei diesen Aktivitäten zu unterstützen. Es hat uns gefreut, dass Herr Minister Bonde öffentlich anerkannt hat, dass es richtig war, die Landkreise im Rahmen der Breitbandförderrichtlinien stärker einzubinden“, stellte Walter klar. „Allerdings erscheint uns die finanzielle Ausstattung des Landesförderprogramms doch – auch im Vergleich beispielsweise zu Bayern – noch relativ gering. Da dürfte es gerne etwas mehr sein, Herr Ministerpräsident, wenn wir die großen weißen Flächen der Breitbandversorgung im Land zügig beseitigen wollen!“, so Walter. Schon bei der letzten Landkreisversammlung habe sein Vorgänger im Amt, Helmut Jahn, in seiner Rede darauf hingewiesen, dass das Präsidium des Landkreistags bereits im Juli 2012 eine Resolution zur Demografischen Entwicklung verabschiedet hat, die wir Herrn Ministerpräsident Kretschmann sowie allen Ministerinnen und Ministern übermittelt haben. Kernforderung sei die Einrichtung eines Kabinettsausschusses „Herausforderung Demographische Entwicklung“ mit dem Schwerpunkt „Ländlicher Raum“ - unter Berücksichtigung der speziellen Herausforderungen für die Agglomerationszentren. Der Landkreistag bietet hierbei seine intensive Mitwirkung an. Eine Reaktion der Landesregierung auf die Resolution stehe bis heute aus. „Ich möchte deshalb Sie, Herr Ministerpräsident und die ganze Landesregierung, aber auch die Regierungsfraktionen eindringlich bitten, sich mit der Notwendigkeit des geforderten Kabinettsausschusses auseinander zu setzen. Das Thema verdient es, dass wir gemeinsam – Land und Kommunen – eine gebündelte Strategie entwickeln, um den Entwicklungen gegenzusteuern und eine gute Zukunft für die Menschen in unserem Land zu entwickeln“, führte Walter aus.
Schlussbemerkung
Abschließend betonte Walter, dass Baden-Württemberg in seiner Entwicklung – gerade auch im Vergleich der anderen Bundesländer - deshalb so positiv vorangekommen sei, weil die Städte, Gemeinden und Landkreise ein stabiles Fundament zu Entwicklung des Landes insgesamt geschaffen haben: „Dieses stabile Fundament war nur möglich, weil sich beide Seiten, sowohl das Land wie auch die Kommunen immer wieder bewusst waren, dass auf nahezu allen Politikfeldern nur Gemeinsamkeit stark macht. Denn das Land ist immer nur so stark wie seine Gemeinden, Städte und Landkreise! Getrennt marschieren heißt gemeinsam geschlagen zu werden! Deshalb, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, beziehen Sie uns in die Lösung der vor uns liegenden Aufgaben ein, fordern Sie uns im wohl verstandenen Sinne einer aktiven Beteiligung. Die Landkreise wollen und werden sich beteiligen. Die Landkreise sind bürgernahe Dienstleister und verlässliche, ja bewährte Partner und Mitgestalter für das Land. Darauf können und dürfen Sie sich verlassen.“